Spielgruppe Kinderland Burgdorf


Rückblicke

Ohne sprachliche Frühförderung ist der Lernerfolg ungewiss

Burgdorf: 26 meist fremdsprachige Drei- und Vierjährige besuchen derzeit die Spielgruppe Kinderland in Burgdorf.

BZ-Artikel vom 06.07.2016

«Wo ist Ali?», fragt Gloria Maître, die das Foto eines Kindes zeigt. «Keine Ahnung», antwortet ein Knabe. «Wir wissen es nicht», ergänzt die Spielgruppenleiterin. «Und warum ist heute Ayana nicht da?», fragt Anna Götschmann in gepflegtem Hochdeutsch. «Sie ist krank», vermutet ein Mädchen. «Was hat sie?», hakt die Kindergärtnerin nach. Die Antwort kommt rasch: «Sie hat Fieber oder Husten.»
Eine Handvoll drei- und vierjähriger Mädchen und Knaben sitzt im Halbkreis. Sie lassen sich von Bildern und Musik begeistern und konzentrieren sich auf den Unterricht von Gloria Maître und Anna Götschmann.

Seit Februar 2010 steht die Spielgruppe Kinderland in Burgdorf allen Kindern ab drei Jahren offen – unabhängig ihrer Nationalität oder religiösen Zugehörigkeit. Zweimal pro Woche besuchen die Kinder die Spielgruppe an der Gyrischachenstrasse 2. «Um Lernerfolg zu haben, sind zwei Halbtage zu je zweieinhalb Stunden pro Woche das Minimum», erklärt Gloria Maître.
Wenn Eltern ihr Kind oder ihre Kinder nur einmal schicken wollten, dann habe dies meist einen Grund: das Geld. Pro Monat und Kind kostet das Förderangebot 120 Franken. Im letzten Halbjahr wurden 26 Kinder in drei Gruppen unterrichtet. Im Mittelpunkt dieser speziellen Spielgruppe stehen die Integration und die Sprachförderung.
Die Herausforderung für die Lehrerinnen ist gross. «Wir hatten schon Kinder aus 28 verschiedenen Nationalitäten, oft binational – die Mutter ist zum Beispiel Türkin, der Vater Mazedonier», erzählt Maître.

Bild: Andreas Marbot

Spielend Deutsch lernen: Einer kleinen Gruppe von fünf fremdsprachigen Kindern erzählen die Spielgruppenleiterinnen Anna Götschmann (links) und Gloria Maître eine spannende Geschichte und stellen dann Fragen dazu. Vereinspräsidentin Eliane Gebauer (rechts) hört ebenfalls interessiert zu.
Bild: Andreas Marbot

Der Stadtrat sagte Nein
«Damit Fremdsprachige chancengleich mit Schweizern oder Deutschsprechenden in den Kindergarten eintreten können, ist es wichtig, sie ab einem Alter von drei Jahren sprachlich zu fördern», betont Eliane Gebauer, Präsidentin der Spielgruppe Kinderland. Und Gloria Maître ergänzt: «Ohne frühe Förderung haben die Fremdsprachigen ein Manko, wenn sie in den Kindergarten kommen. Es wird dann sehr schwierig, dieses Defizit innerhalb von zwei Jahren auszugleichen.»
Eine entscheidende Chance werde vertan, wenn Kinder in den ersten fünf Jahren ohne Unterstützung und richtige Förderung zu Hause betreut würden. Behütet von ihren Müttern, die der deutschen Sprache nicht mächtig seien. «Damit ausländische beziehungsweise fremdsprachige Kinder später einmal gute Berufschancen haben oder in das Gymnasium eintreten können, müssen sie möglichst früh Deutsch lernen», ist Maître überzeugt.
Maximal 30 Kinder können derzeit in Burgdorf von früher Sprachförderung profitieren. Damit dieses Angebot, das von der Stadt finanziell unterstützt wird, möglichst flächendeckend eingeführt werden könnte, sagte der Stadtrat im Dezember letzten Jahres Ja zum Konzept «Vernetzte frühkindliche Betreuung und Erziehung in Burgdorf».
Doch ein halbes Jahr später wollte eine knappe bürgerliche Mehrheit im Parlament nichts mehr davon wissen. Am 20. Juni wurde das von der Bildungsdirektion ausgearbeitete Projekt, das ab 2018 mit maximalen Kosten von jährlich 140 000 Franken rechnete, bachab geschickt.

Geld wird nicht gespart
Mit dem Nein des Stadtrats wird diese Aufgabe allein an die Schule abgeschoben. Hierfür haben die Spielgruppeverantwortlichen kein Verständnis. Wenn sprachliche und soziale Defizite erst ab der ersten Klasse wettgemacht werden müssten, sei der Lernerfolg unsicher. Sicher sei dagegen, dass die Stadt nach dem Nein zur frühen Sprachförderung kein Geld sparen werde. Präsidentin Gebauer sagt es so: «Wenn während der Schulzeit eine Heilpädagogin individuelle Förderung machen muss, kommt dies die Stadt teurer zu stehen.»

Den Knaben und Mädchen, die in der Spielgruppe Kinderland betreut werden, ist die politische Diskussion um die frühe Förderung freilich egal. Sie geniessen die persönliche Note des Unterrichts bei Gloria Maître und Fabiola Ryser. Mal sitzen sie auf ihren Stühlchen und hören gespannt einer vorgetragenen Geschichte zu, mal singen sie fröhlich ein deutsches Kinderlied. Dann wieder gruppieren sich die Kinder um einen Tisch und hantieren mit Stift und Schere.

In Gruppen oder allein
Für die Sprachförderung zeichnen Kindergärtnerin Anna Götschmann und Kleinkinderzieherin Regula Gondim verantwortlich. Frühe Sprachförderung sei gerade auch darum wichtig, betont Götschmann, «weil die Kinder das Gelernte noch ohne Hemmungen umsetzen können».
Die Leiterinnen arbeiten im Team, in kleinen Gruppen oder einzeln mit den fremdsprachigen Kindern zusammen. «Spielerisch und dem Alter der Kinder entsprechend vermitteln wir die deutsche Sprache», erklärt Götsch­mann, die auf eine mehr­jährige Erfahrung als Mutter/Kind-(Muki)-Deutschlehrerin abstützen kann. Pro Halbtag dauert die gezielte Sprachförderung, die in einem separaten Zimmer erteilt wird, 15 bis 30 Minuten. Danach spielen die Kinder wieder zusammen im Plenum.

Kirchberg macht es vor
Positiv fällt den Spielgruppenleiterinnen jeweils auf, wenn nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern durch eine Gemeinde begleitet werden; dies ist zum Beispiel in Kirchberg der Fall. «Wenn die Eltern unser System kennen und sie wissen, was hier Brauch ist, dann merken wir das auch bei den Kindern: Sie kommen pünktlich und melden sich im Verhinderungsfall ab», weiss Gloria Maître aus ihrer Praxis.
In Burgdorf gibt es keine derartige Begleitung. Deshalb wüssten die Eltern oftmals auch nicht, dass es in der Stadt eine Institution gebe, welche die frühe Sprachförderung sowie Intergrationsmassnahmen anbiete, gibt Eliane Gebauer zu bedenken. Sie ist ausgebildete Primarlehrerin, unterrichtet Muki-Deutsch und stellt als Präsidentin des Vereins Spielgruppe Kinderland den Kontakt und die Koordination mit den diversen Institutionen und der städtischen Sozialdirektion sicher.
Letztere ist es auch, die zusammen mit dem Gyri-Treff, der reformierten Kirchgemeinde und der Mütterberatung auf die frühe Sprachförderung im Gyrischachen aufmerksam macht; aber auch Mundpropaganda und Facebook sorgen für Werbung.

Der Wille zur Integration
Das Interesse fremdsprachiger Eltern an einer Integration in der Schweiz sei meist sehr wohl vorhanden, betont Gebauer. Spielgruppenleiterin Maître weiss dies aus Erfahrung. Nur: «Viele, teils sehr junge Mütter sind mit ihrer Situation überfordert. Dabei müsste man gerade sie, die oft aus religiösen Gründen zu Hause bleiben, besuchen. Und man müsste auch den Männern sagen, dass Deutschunterricht für Frauen und Kinder wichtig ist.»

Bleibt die Frage: Wie weit geht der Wille von Eltern anderer Kulturen und Religionen zur Integration? «Wir lassen es allen offen, ob sie an unserer Weihnachts­feier teilnehmen wollen oder nicht», erzählt Gloria Maître, «doch oft kommen neben den Eltern sogar noch die Grosseltern mit. Ja es ist sogar so, dass selbst Familien mit anderen Traditionen allein wegen ihrer Kinder zu Hause einen Weihnachtsbaum aufstellen.»

Die Finanzierung
Sieben Spielgruppen gibt es in der 16′000 Einwohner zählenden Stadt Burgdorf, doch nur die Spielgruppe Kinderland im Gyrischachen hat die Integration und Sprachförderung als Ziel definiert. Im Februar 2010 startete der Verein mit einer Gruppe von zehn Kindern, ein halbes Jahr später wurde die zweite und 2012 die dritte Gruppe eröffnet. Die Spielgruppe wird durch Elternbeiträge finanziert, die Stadt unterstützt die frühe Sprachförderung, indem sie den Lohn der Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache bezahlt und die Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. An den Kosten beteiligen sich zudem der Kanton Bern und der Quartierverein Ämmebrügg.

BZ 06.07.2016, Urs Egli

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